2 Kinder-Neurologinnen machten im Interview mit TIQUA auf Vorgänge aufmerksam, über die man außerhalb von Kliniken nicht spricht. Sie sind davon überzeugt, dass den Menschen dieses Thema vorenthalten wird, weil die meisten diesen Vorgang heftig ablehnen würden. Es geht um das TÖTEN VON KINDERN.
Sie sind beide Kinder-Neurologinnen. Was genau tun Sie?
Wir arbeiten speziell mit Kindern, die neurologische Probleme haben, wie z. B. Epilepsien, angeborene Behinderungen, Bewegungsstörungen oder kognitive Entwicklungsprobleme.
Wie kommt es, dass Sie mit Spätabtreibungen und Kindstötungen zu tun haben?
Manche der Störungen erkennt man schon vor der Geburt, sei es z. B. ein offener Rücken oder eine genetische Störung.
Als Laie versteht man unter Spätabtreibung eine medizinische Notwendigkeit, die sauber vonstatten geht. Wie weit entfernt ist die Vorstellung eines Laien von der Realität?
Das Wort „Spätabtreibung“ nimmt keiner mehr in den Mund. Es wird vielmehr versucht, die Situation „schön“ zu umschreiben mit den Worten „das Kind wird nicht lebensfähig sein“ oder „das Kind wird solche Einbußen haben, dass es keine Lebensqualität hat“ oder „man wird die Geburt jetzt einleiten“ - von Abtreibung spricht man nicht.
Aber wenn die Geburt eingeleitet wird, weiß man doch vorher schon, dass das Kind keine Chance hat, ohne medizinische Hilfe zu überleben. Nimmt man dies dennoch in Kauf?
JA! Es gibt Situationen, da kommt das Kind zur Welt und schnappt nach Luft. Es lebt noch. In diesem Fall ruft der Gynäkologe einen Kinderarzt zu Hilfe, der dem Kind die Morphiumspritze setzt und sich vormacht, ihm damit einen „sanften Tod“ zu verschaffen.
Somit ist schon von vornherein genau geregelt, wer was zu welchem Zeitpunkt durchführt?
Richtig! Es handelt sich hierbei um ein System. Ein System, bei dem man die ganze Schuld nicht alleine tragen muss. Der Gynäkologe fühlt sich somit entschuldet, da der Kinderarzt ebenfalls eine gravierende Handlung durchführt.
Wie gehen Gynäkologen mit dem Zwiespalt Geburt und Abtreibung um?
Wie dies auszuhalten ist, ist mir ein Rätsel. In unserer Klinik ist es ein offenes Geheimnis, dass der Gynäkologe Drogen nimmt. Er hat eigene Kinder, denen er in die Augen schauen muss.
Wir sprechen hier ganz klar von TÖTEN. Wie benennen Sie dies in der Klinik alternativ?
Hier geht es um eine sprachliche Kosmetik. „Comfort Care“ oder „Re-Direction“ sowie „Einleitung der Geburt“ klingt ähnlich sanft wie das „Einschläfern“ des Hundes. Das Wort TÖTEN vermeidet man.
Somit verschleiert man die eigentliche Tat, um den Ärzten, den Schwangeren und der Öffentlichkeit etwas vorzumachen und es zu verharmlosen?
Ja, man sagt der Schwangeren, dass sie die „beste“ Unterstützung bekommt, dass die „besten Ärzte“ anwesend sein werden und ebenso ein Pastor. Man ist bis zum Schluss eingebunden in ein System, bei dem die Eltern das Gefühl bekommen, durch das Töten gerade das Beste zu tun, um dem Kind das Leid eines behinderten, eingeschränkten Lebens zu „ersparen“.
Nach dem großen Schock der Diagnose, der es mit sich bringt, dass die Eltern innerhalb kürzester Zeit über das Sterben ihres ungeborenen Kindes entscheiden sollen, wird ihnen durch Worte wie „Comfort Care“ und „Re-Direction“ vermittelt, das Beste für ihr Kind zu tun. Haben wir das so richtig verstanden?
Ja, es ist bis zum Schluss scheinbar alles gut umsorgt. Die Schwangere geht in der Situation davon aus, für das Kind geschieht das Beste auf die beste Weise. Sie muss sich sagen: „ALLE können es verantworten, es fehlt nur MEINE Zustimmung als Mutter. Angesichts dieser Hilfsbereitschaft, da kann ich doch nicht Nein sagen!“
Ein Mensch, der in dieser verzweifelten Lage ist, ist unfähig zu sagen: „ich bin verzweifelt …“
Könnten Abtreibungen oft vermieden werden, wenn Eltern klar aussprechen würden, dass sie verzweifelt sind über die Diagnose und Entscheidung, die sie treffen müssen?
Ja, dies wäre durchaus vorstellbar, wenn zum Beispiel mehr Zeit und Platz vorhanden wäre. Wenn der Arzt sich mehr Zeit nehmen würde. Aber durch das „perfekte System“ wird dies nicht praktiziert.
Welche Ängste motivieren Ärzte, so etwas durchzuführen?
Ich denke, da kommen mehrere Sachen zusammen. Zum einen die Angst davor, dass die Behinderung schwergradiger ist als angenommen. Ein totes Kind hingegen kann nicht klagen und die Eltern sind nach der Abtreibung zu kraftlos. Weiterhin haben die Ärzte Angst vor den späteren Vorwürfen der Eltern wegen mangelnder Aufklärung bezüglich der Behinderung des Kindes.
Aber wir Kinderärzte in einer großen Klinik sehen täglich, wie gut Kinder mit offenem Rücken das Leben meistern, wie glücklich sie sind und welchen Überlebenswillen sie haben. Das Problem ist eben die Definition „lebenswert“, die jeder Mensch verschieden und aus eigener Sicht willkürlich festlegt. Das ist für einen Arzt verwerflich.
Wie genau wird diese Morphium-Handlung durchgeführt?
Der Arzt nimmt das kleine Händchen oder Ärmchen und setzt die Spritze intravenös. Das Morphium hemmt ein wenig die Schmerzen, lässt die Atmung langsamer werden, soll dem Kind die Angst vor dem Ersticken nehmen.
Hierdurch wird eine Atemunterdrückung bewusst eingesetzt, die dann irgendwann zum Tode führt.
Bei Tieren, die eingeschläfert werden, setzt man Spritzen direkt ins Herz und innerhalb von Sekunden tritt hier der Tod ein. Dies ist im Falle der Kindstötung nicht gegeben?
Dies ginge schon auch mit entsprechenden medizinischen Mitteln. Aber dann wäre das System unterbrochen, bei dem mehrere Menschen verantwortlich bzw. eingebunden sein sollen.
Es geht also darum, dass der Arzt, der die Tötung durchführt, sich etwas vormachen kann, damit er nicht am Abendtisch sitzen und erzählen muss, er habe ein Kind getötet.
Richtig, er wird sagen, er habe einem Kind das Sterben erleichtert und macht sich vor, er sei barmherzig gewesen.
Wie genau geht diese Situation nun vonstatten und was passiert mit der Schwangeren?
Der Gynäkologe leitet die Geburt ein und bringt das Kind zur Welt. Zwischenzeitlich wird die Schwangere vermutlich bei vollem Bewusstsein die Geburt erleben. Danach trennt der Gynäkologe die Nabelschnur ab. Sollte das Kind noch atmen, sich bewegen oder schreien, ruft er den Kinderarzt. Dann wird das Kind zum Nachbartisch gebracht, um die Spritze zu setzen. Der Gynäkologe verlässt vorher meist den Kreißsaal und kann sich nun vormachen, dass nicht er es ist, der das Kind tötet. Der Kinderarzt hingegen übernimmt den kleinen Patienten mit dem Gedanken, ihm das Sterben nun zu erleichtern, indem er die Spritze setzt.
Waren Sie selbst schonmal bei einer Abtreibung dabei?
Ja, ich war mal dabei. Da sagte der Gynäkologe damals, er hätte kein Verständnis für diese Abtreibung. Da es sich hier um keine medizinische, sondern um eine soziale Indikation handle: Eine wohlhabende Familie, in deren Konzept nun einfach kein Kind passe.Die Frau betrat lächelnd den Behandlungsraum und suchte bei uns nach einer Erwiderung, die ausblieb. Der Patientin wurde die Narkose gesetzt, das Kind wurde abgesaugt und als die Kurz-Narkose nachließ, fing die Frau bitterlich an zu weinen, was mir unverständlich war, da sie dies doch selbst wollte. Der Pfleger erklärte mir dann „das ist immer dasselbe … die Frauen weinen immer“.
Bei mir im Studium sollten wir das Intubieren lernen und wurden dafür in die Frauenklinik geschickt. Als ich da einen Operations-Raum betreten wollte, um bei der Narkose zu helfen, wies mich der Gynäkologe an der Tür ab mit den Worten „hier bitte nicht, wir führen eine Abtreibung durch“. Dies signalisierte mir, dass er noch ein ausgeprägtes Rechtsempfinden hat und genau weiß, was er da tat und niemanden dabeihaben wollte. Mir war dies nur Recht, ich wollte da nicht dabei sein.
Mir ist unvorstellbar, wie man diese Handlung mehrmals durchführen kann. Dass ein Gynäkologe Drogen nehmen muss, um dies zu vollziehen. Dass ein Kinderarzt die Handlung für sich schönredet mit den Worten „ich habe einem Sterbenden geholfen“. Kennen Sie einen Fall, wo ein Kind überlebt hat?
Ja, ich erinnere mich an ein Kind, das mit einer abnormen Knochenbrüchigkeit in der Schwangerschaft aufgefallen ist. Es hieß, das Kind sei nicht lebensfähig. Die Eltern entschieden sich dennoch gegen eine Abtreibung. Die Ärzte prognostizierten die Lebensunfähigkeit und wollten hier eine natürliche Geburt durchführen, deren Strapazen zum Tod des Kindes führen sollten. Die Eltern wollten ihrem Kind allerdings Schmerzen ersparen und entschieden sich für einen Kaiserschnitt. Das Kind kam am Geburtstermin per Kaiserschnitt zur Welt. Bereit standen: Kinderarzt mit Morphiumspritze, und Pastor für die Taufe vor dem Tod. Das Kind fing an zu schreien und kam dann in die Kinderklinik. Das Leben des Kindes stand auf Messers Schneide. Hätte das Kind etwas weniger geschrien, hätte man es mit Morphium „behandelt“. So konnte es überleben.
Ist PID (Prä-Implantations-Diagnostik) in Ihren Augen auch eine Verschleierung der Brutalität?
Die Prä-Implantations-Diagnostik heißt die Auswahl von gesunden Embryonen nach künstlicher Zeugung und hat nur ein Ziel: die Selektion von kranken und zeitlich unerwünschten Kindern. Das ist das einzige Ziel.
Die Selektion von kranken Kindern heißt, man diagnostiziert früh eine Behinderung? Ich kenne aber einige Fälle, in denen Eltern eine frühe Diagnose eines behinderten Kindes bekamen, das Kind aber gesund zur Welt kam.
Es heißt, PID nur bei schweren Erkrankungen. Dies ist allerdings in Wahrheit anders. Ich hatte den Fall, dass die Mutter die Diagnose einer häufigen und relativ harmlosen Krankheit bekam, die sich Neurofibromatose nennt. Im genetischen Institut bekam das Kind, als es zur Welt kam, automatisch auch die Diagnose – ohne es darauf untersucht zu haben. Im Brief stand drin „für weitere Schwangerschaften boten wir der Mutter eine PID an“. D. h. nach künstlicher Befruchtung werden nur gesunde Embryonen eingesetzt, um einen Abbruch zu vermeiden. Dass aber ein krankes Kind somit weggeworfen wird, wird nicht ausgesprochen.
Besonders tragisch an meinem eben geschilderten Fall fand ich, dass man mit diesem Brief indirekt der Mutter sagte, dass sie eigentlich auch nicht lebensberechtigt sei. Denn wenn es zum Zeitpunkt ihrer eigenen Geburt die Prä-Implantations-Diagnostik gegeben hätte, so wäre sie ebenfalls weggeworfen worden. Man stellt somit die Mutter in Frage.
Vermutlich hat sie dies in ihrer aktuellen Situation nicht verstanden und wahrgenommen. Aber sicherlich wird sie später diese Aussage nochmals in ihrem Kopf wiederholen, wenn sie z. B. ihr Spiegelbild sieht. Sie muss sich selbst sagen, sie ist eigentlich nicht lebensberechtigt wegen ihrer Erkrankung. Und mit diesem Satz ist sie dann alleingelassen.
Ja, die Schlinge um die Behinderten zieht sich immer mehr zu.
Mir ist ein Fall bekannt, bei dem eine Hebamme in einem Kühlschrank ein 7 Monate altes Mädchen aus einer Spätabtreibung fand. Total schockiert untersuchte sie das Kind und es war ihrer Meinung nach gesund. Sie intervenierte in der Klinik, verlor dadurch ihren Arbeitsplatz, den sie sich zurückerklagen konnte. Es gibt einen Dienstplan und sie bekam mit, wie sich ihre Kollegen über diesen unterhielten: „Wenn Frau XY arbeitet, tragen wir uns ein, dann müssen wir keine Abtreibungen machen“.
Wie schafft man diese Spaltung?
Wie das funktioniert, weiß ich auch nicht. Es gibt ja geschichtliche Beispiele, dass z. B. ein KZ-Leiter ein überaus netter Familienvater war. Oder dass nach der Wannsee-Konferenz ein Mitabstimmer der Endlösung, beim Schubert-Konzert anfing zu weinen.
Ich denke, auf Dauer kann man es nicht verdrängen und es prägt einen auch.
Bei einer Fortbildung z.B. hielt ein Kollege, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, der sich vielfach für die Heilung von Kindern Verdienste erworben hat, einen Vortrag. Dabei zeigte er, der große Lebensretter, auf großer Leinwand plötzlich ein totes Kind und erklärte, dass dieses leider getötet werden musste. Alle waren schockiert. Mir war unbegreiflich, wie er sowas zeigen konnte. Er konnte nicht mehr unterscheiden, wann er dem Leben und wann er dem Tod diente.
Ein weiterer Sauberkeitswischer ist der Begriff „Ethik-Kommission“. In vielen Augen eine scheinbar erhabene Kommission, die wertneutral darüber entscheidet, ob dieses Kind leben darf.
Ich war ein Mal Teil einer Ethik-Kommission. Es ging um ein kleines Kind, das nicht alleine trank. Die Frage war, ob man dem Kind einen Schlauch (PEG-Sonde) in den Magen zur Nahrungs-Versorgung setzt. Die Kommission setzte sich zusammen aus dem alten und neuen Chefarzt, dem Abteilungsleiter, dem Hausarzt, der Physiotherapeutin und mir. Es wurden 45 Minuten angesetzt, in denen diverse Möglichkeiten aufgezeigt wurden. Ethisch wurde hier gar nichts diskutiert, denn es wurde einfach nur abgestimmt ...
Die Kinder haben eben keine Lobby. Zum Beispiel der Fall eines Kindes aus dem Heim, welches auch Probleme mit der Nahrungsaufnahme und oft Lungenentzündungen hatte. Auch hier wurde über eine PEG-Sonde diskutiert. Man entschied sich, nicht mehr alle medizinischen Maßnahmen einzuleiten, sodass das Kind die nächste schwere Erkrankung nicht mehr überleben sollte. Die Krankenschwester, die das Kind versorgte, verstand diese Entscheidung nicht, da sie sagte, es gäbe viele Kinder, die schlechter dran wären. Für sie selbst war das nicht auszuhalten.
Das bedeutet, dass man wissentlich dieses Kind, das im Heim sowieso schon schwerere Lebensbedingungen hatte, gesundheitlich schlechter einstufte als es ihm tatsächlich ging?
So würde die Ethik-Kommission das natürlich nie begründen. Hier wird immer von Lebensqualität gesprochen. Natürlich wissen die Ärzte aber auch um die finanzielle Lage der Krankenkassen wegen eines Kindes, das immer wieder krank wird und somit Geld kostet.
Wobei es ja weltberühmte Philosophen wie Robert Spaemann gibt, der klar aussagt, es steht keinem Dritten zu, über Lebensqualität zu richten.
Es steht auch keinem zu. Unsere Ärzte zum Beispiel, die 15-16 Stunden auf Station stehen, haben auch keine gute Lebensqualität, und niemand tötet sie deswegen.
Und aus der Gruppe der Patienten mit Spina Bifida (offener Rücken) kommt ganz klar die Aussage, sie haben Lebensqualität und wären gekränkt, wenn man ihnen dies absprechen würde.
Sie haben den Mut, den Mund aufzumachen und sich gegen Kindstötung auszusprechen. Sie wünschen sich Veränderung und Verbesserung. Was für ein Wunder hätten Sie gerne, wenn Sie sich eines wünschen dürften?
Ich würde mir wünschen, dass Ärzte Abtreibung ablehnen. Von den gynäkologischen Kollegen höre ich oft, dass sie sich darüber aufregen, wieviele Abtreibungen von den Eltern gewünscht werden. Wobei ich ihnen sage: „Ihr habt es doch selbst in der Hand!“
Vor kurzem hatte ich ein erstes Beratungsgespräch mit einer Mutter. Sie war total verängstigt – wie ich noch nie eine Person erlebte. Man hätte in dieser Gefühlssituation alles mit dieser Frau machen können. Man hätte ihr aus meiner Sicht sagen können, es lohnt sich auch, wenn das Kind behindert zur Welt kommt, aber wir konnten ihr sogar sicher sagen, dass es nicht so sehr krank sein würde. Sie entschied sich FÜR die Schwangerschaft. Und im nachhinein sagte sie, dass sie durch die Fragestellung „möchten Sie die Schwangerschaft austragen, ja oder nein?“ total verunsichert war. Hier würde ich mir wünschen, dass Ärzte die Situation klar erkennen und sich selbst auch Hilfe von außen suchen, wie man die Frau am besten beraten kann.
Ärzte – die Götter in Weiß – üben also eine große Macht auf die Frauen aus.
Ja, genau das ist der Punkt: Sie haben die Macht, die Frau zur Abtreibung zu bringen oder zum Leben zu beraten und damit das vorgegebene, von ihnen verhasste Tötungssystem zu sprengen. Das wurde mir am Beispiel dieser Frau klar. Man hätte sie in beide Richtungen lenken können. Persönlich kann ich nur sagen: Der nächste Fall kommt sicherlich und ich werde SIE dann anrufen, wie immer.